Die tiergestützte Pädagogik: Interessante Einblicke der FSP 19A

Was versteht man unter „tiergestützter Pädagogik“?

Wir aus der Klasse FSP 19A haben uns im vergangenen Schuljahr im Modul 2: „Individuelle Lebenslagen“ intensiv mit dem Thema tiergestützte Pädagogik beschäftigt. Unter tiergestützter Pädagogik versteht man alle Maßnahmen, die einen positiven Effekt auf das Verhalten von Kindern und Jugendliche haben und dabei auf die Hilfe eines Tieres zurückgreifen. Dabei stehen die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen dem Menschen und dem Tier im Vordergrund. Durch diese Zusammenarbeit können die sozialen, kognitiven und motorischen Fähigkeiten ausgebaut und verbessert werden.

Diese Anbieter haben wir besucht

In Kleingruppen besuchten wir insgesamt fünf verschiedene Anbieter zur tiergestützten Pädagogik im Raum Gifhorn und Wolfsburg:

  • Der Hof (Isenbüttel)
  • Das therapeutische Reiten (Dalldorf)
  • Der Bauernhof „Esel, Pudelhuhn & Co“ (Brackstedt)
  • „Kinder – Tiere – Kommunikation“ (Müden/Aller)
  • Die Schule der Zukunft (Wittingen)

Dabei erhielten wir viele interessante Einblicke, die wir hier gerne teilen möchten:

„Der Hof“ Isenbüttel: Heilpädagogischer Bauernhof und Integrative Freizeitgestaltung

Wir haben den Experten des Hofes, Roland B., interviewt und ihm folgende Frage gestellt: „Wie gestaltet sich der Alltag mit behinderten Menschen und der gemeinsamen Arbeit mit den Tieren und welche Ziele stehen dahinter?

Der Hof bietet eine langfristige Lebensperspektive für 24 Menschen mit einer geistigen Behinderung an. Davon leben dauerhaft 16 Bewohner*innen auf dem Hof und acht Menschen kommen jeden Tag von extern hinzu. Sie treffen sich jeden Morgen gemeinsam auf dem Hof und beginnen den Tag um 8 Uhr mit einem Frühstück.

Danach gehen sie in ihre Arbeitsstätten, wo im Moment elf verschiedene Berufsfelder vertreten sind. Die Arbeit umfasst zum Beispiel Ställe ausmisten oder Tiere versorgen. Andere Bewohner*innen gehen hauswirtschaftlichen Tätigkeiten nach, kümmern sich um die Arbeiten in der Wäscherei und die Bewirtung des Hofladens und des Cafés.

Die Bereiche „Arbeiten“, „Wohnen“ und „Freizeit“ sind auf dem heilpädagogischen Bauernhof „Der Hof“ untrennbar miteinander verbunden. Neben den handwerklichen manuellen Fertigkeiten wird großes Gewicht auf die Förderung sozialer Kompetenzen, der Kommunikation, auf Konfliktbearbeitung und auf die Berücksichtigung gruppendynamischer Aspekte gelegt.

Selbständigkeit zu ermöglichen, ist besonders wichtig

Herr B. berichtete uns: „Es ist wichtig, dass so viel Normalität für Menschen mit Behinderung geschaffen wird und dass sie logische Abläufe erlernen, damit sie so selbstständig wie möglich werden.“ Dazu dienen unter anderem die Kooperation mit dem Reit- und Fahrverein und die damit verbundene Zertifizierung als qualifizierte Pferdepension mit vier eigenen und sechs fremden Pferden.

Behinderte Menschen können hier im Rahmen der angebotenen heilpädagogischen Reitstunden persönliche Bindungen zu den Pferden aufbauen. Darüber hinaus verpflegen behinderte Menschen die Hühner, Gänse und Schweine des Hofes. Die Versorgung aller Tiere des Hofes ist von großer Bedeutung für den Alltag der Menschen und das damit verbundene Lernen. Darüber hinaus sind die Gemeinschaft und die vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Hof wichtig. Dazu gibt es einmal im Monat eine Dienstbesprechung, bei der für jeden Monat die Aufgaben neu und nach den Bedürfnissen der Klienten verteilt werden.

Wir finden für alle die passenden Aufgaben

Je nach Behinderungsgrad der einzelnen Menschen gehen diese verschiedenen Arbeitsaufträgen nach. Damit alle zufrieden sind, wird die bestmögliche Arbeitslösung für jede*n Einzelne*n gefunden. „Die Menschen sind hier sehr glücklich, eine Aufgabe zu haben und dafür Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen“, sagte Herr B.

Einmal im Jahr wird ein Hoffest ausgerichtet. Dazu werden die Freunde, Förderer und Familien eingeladen und zusätzlich Führungen angeboten, um den Hof kennenzulernen. Ganz nach dem Motto: „Einfach natürlich Lernen!“

Das therapeutische Reiten in Dalldorf

Wir haben Ronja, die Leitung des Grashofs für therapeutisches Reiten in Dalldorf, gefragt: „Was ist der persönliche Gewinn für die Menschen, die zum therapeutischen Reiten kommen?“

In intensivem Austausch berichtet Ronja über die Wichtigkeit der Partizipation, der Teilhabe an Entscheidungen für die Kinder. Die Kinder, die zu dem Hof kommen, gestalten den Inhalt der jeweiligen Einheit mit: Sie entscheiden, ob sie die Pferde und Ponys ausgiebig putzen und pflegen oder ob sie „nur das Nötigste putzen“, um schnell auf das Pferd zu gelangen, so dass sie mehr Zeit auf dem Tier haben. Auch entscheiden die Kinder selbst, ob sie auf dem Hof oder Reitplatz bleiben oder ob sie einen Ausflug ins Gelände machen.

Biophilie: Liebe zum Leben und allem Lebendigen

Ein sehr wichtiger Aspekt von Ronjas Arbeit ist die Biophilie – also das Zusammenspiel und die Verbindung zwischen Menschen und der Natur und ihren Lebewesen. Ronja legt Wert darauf, dass die Kinder einen respektvollen Umgang untereinander, mit den Tieren und der Natur erlernen. Es geht ihr darum, dass die Kinder „Kind sein dürfen“ und Erfahrungen sammeln. „Das bedeutet dann vielleicht auch Mal, dass die Kinder den Misthaufen hochlaufen und hineinspringen. Danach sind sie zwar schmuddelig und riechen tut es auch nicht sonderlich prickelnd, aber so haben sie eine Erfahrung gesammelt, wie früher vielleicht ihre Großeltern. Zu Hause haben die Kinder oft nicht die Möglichkeit zu solch einer Erfahrung. Und die vergessen sie definitiv nicht so schnell“, so Ronja.

Freies Erkunden statt Leistungsdruck

Die Kinder erfahren auf dem Hof Raum für Exploration – ganz ohne Leistungsdruck. Sie erkunden sich selbst und ihre Fähigkeiten und bauen diese in Zusammenarbeit mit den Tieren und der Begleitung durch Ronja aus. So entsteht ein Entwicklungsprozess, der die Kinder nachhaltig stärkt, ohne dass sie das Gefühl haben, dass sie erprobt und bewertet werden, wie es beispielsweise in der Schule der Fall ist.

Vielfältige Förderung – Lernen fürs Leben

Der Umgang mit den Tieren und der Natur dient als Inspirationsquelle für den Verlauf der Einheiten. So werden Beobachtungen des Umfelds und Geräusche aufgegriffen und ins Bewusstsein gerufen. Auch werden beispielsweise die Konzentrationsfähigkeit, Motorik, Sprachentwicklung, Kommunikationsfähigkeit, Empathie und Explorationsfreude der Kinder gestärkt.

Kurzum könnte man abschließend sagen, dass die Kinder auf dem Hof die Freiheit haben, sich in und mit ihrer Umgebung auszuprobieren, sich zu öffnen. Ganz nebenbei und spielerisch, durch das Nutzen aller Sinne, lernen sie dabei fürs Leben.

Der Bauernhof „Esel, Pudelhuhn & Co“ in Brackstedt

Julia M., gelernte Zoopflegerin und Ergotherapeutin mit der Zusatzausbildung zur tiergestützten Intervention, bietet auf ihrem Hof in Brackstedt ein breitgefächertes Angebot für Groß und Klein an. Der Hof „Esel, Pudelhuhn & Co“ wird seit März 2020 von Frau M. und einer weiteren Mitarbeiterin geführt. Mit Hilfe von Kleintieren wie Hasen und Meerschweinchen, mit ihren Hunden, diversen Hühnern und Enten sowie fünf Eseln arbeitet sie gemeinsam mit den Kindern, um ihre sozialen und emotionalen Fähigkeiten zu stärken und ihre Selbstwirksamkeit auszubauen.

Förderung der kindlichen Stärken und Autonomie statt Defizitorientierung

Im Interview mit Frau M. haben wir ihr die Frage gestellt: Welche Motivation steckt hinter der Arbeit mit den Kindern und Tieren?

Während ihrer Arbeit am Klinikum als Ergotherapeutin hat sie zunehmend festgestellt, dass Kinder immer wieder mit einem defizitorientierten Blick betrachtet werden, wenn vorrangig die Frage gestellt wird: „Was kann der Patient nicht?“ und „Wo liegen seine Schwächen?“

Durch die Arbeit mit den Tieren änderte sich die Haltung von Frau M. und für sie stand fest, dass sie die Stärken und die Autonomie der Kinder unterstützen möchte. Darüber hinaus hat Julia M. in der kurzen Zeit, in der der Hof besteht, die Erfahrung gemacht, dass Begegnungen zwischen Mensch und Tier sich nachhaltig und positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirken. Daher ist ihre Motivation, zum Paradigmenwechsel beizutragen, damit Kinder ressourcenorientiert wahrgenommen werden.

„Kinder – Tiere – Kommunikation“: Unterstützung der Persönlichkeitsentwicklung mit Hilfe von Tieren in Müden/Aller

Corinna M., die von Beruf Tierheilpraktikerin und Kindercoach ist, bietet in Müden/Aller verschiedene Möglichkeiten für Besuche an: Kindergärten und Grundschulen, aber auch Kindergeburtstagsgruppen haben die Möglichkeit, den Hof und all seine Tiere zu besichtigen. Auf dem Hof leben Hunde, Katzen, Rehe, Wildschweine, Kühe, ein Pony, Schafe, Enten, Gänse, Hühner, Hasen und Meerschweinchen. Darüber hinaus werden verschiedene Kurse angeboten oder auch Projekte mit Schulen oder sozialen Einrichtungen durchgeführt.

Zudem finden Vorträge statt, die sich an interessierte Eltern, Lehrer oder Therapeuten richten, die sich für die tiergestützten pädagogischen Angebote interessieren.

Das Selbstvertrauen der Kinder stärken und Ängste abbauen

Der Grundgedanke von „Kinder – Tiere – Kommunikation“ ist, Kindern die Tiere näher zu bringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Offenheit und Verständnis für die Tiere zu entwickeln. Besonders wichtig ist, dass die Kinder von den verschiedenen Tieren lernen können und dadurch etwas zurückzubekommen. Sie lernen verschiedene Haus- und Nutztierarten kennen und haben die Möglichkeit, auf unterschiedliche Art und Weise Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Dabei werden die Kinder kompetent und unter fachlicher Begleitung an die Tiere herangeführt.

Die Anerkennung und das Vertrauen, das die Kinder dabei erlangen, spielen dabei eine wichtige Rolle. Die wichtigsten Ziele sind, das Selbstvertrauen der Kinder zu stärken und mögliche Ängste vor Tieren abzubauen.

 

Die „Schule der Zukunft“ in Wittingen

Am 09.10.2021 sind wir, die Klasse FSP 19A des Diakonie-Kollegs in Wolfsburg, in Wittingen in der „Schule der Zukunft“ zu Gast gewesen. Wir durften einen spannenden und informationsreichen Tag voll von theoretischem Wissen und praktischen Impulsen mit den sehr engagierten Dozenten Edeltraud H. und Darleene S. sowie ihren Hunden Bolle, Anuk und Anneliese erleben. In ihrer Klasse begleiten sie Schüler*innen mit geistiger Beeinträchtigung nach dem Prinzip der tiergestützten Pädagogik.

Erste Einblicke in die tiergestützte Intervention

Anhand einer umfassenden Präsentation konnten wir einen ersten Einblick in die tiergestützte Intervention erhalten. Inhalte waren zum Beispiel verschiedene Arten tiergestützter Intervention und die Theorien dahinter, die Zielgruppen, unterschiedliche Methoden und Einsatzmöglichkeiten der Tiere. Untermauert wurde die Theorie mit Hilfe vieler Fallbeispiele. Dadurch wurden die Bedeutung dieser Arbeit und der große Gewinn für die Kinder bei der Stärkung ihrer physischen, psychischen, mentalen und sozio-kommunikativen Fähigkeiten deutlich.

Wir konnten einen Teil ihrer Arbeit erleben, als wir für die Kleintiere eine Landschaft außerhalb ihres Geheges aufbauen und die Tiere versorgen durften. Dies ist ein praktisches Beispiel für den Einsatz der Kleintiere gewesen. Außerdem haben wir erlebt, wie Bolle, Anneliese und Anuk die Kinder ihrer Klasse beim Mathematiklernen unterstützen.

Finanzierungsprobleme der tiergestützten Pädagogik

Gerade weil der Gewinn der Kinder so groß ist, empfinden wir es als besonders schade, dass dieses pädagogische Feld so wenig Anerkennung erfährt. Die Versorgung und Finanzierung der Tiere liegt zum größten Teil bei den Fachkräften. Darüber hinaus wird der finanzielle Aufwand für die Ausbildung zur tiergestützten Pädagogik in den seltensten Fällen vom Träger übernommen.

Zum Glück gibt es immer noch Menschen wie Edeltraud H. und Darleen S., die trotz dieser Bedingungen ihren Beruf als Berufung sehen und ihn mit vollem Herzen ausüben.

 

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